Vorbemerkungen
Seit dem ersten Auftreten von Feuerbrand in der Schweiz am Anfang des Jahrtausends sind nun rund zwei Jahrzehnte verstrichen. Das Gespenst hat deutlich an Bedrohung verloren. Die anfänglichen Befürchtungen, dass dieses Bakterium der Untergang für alle Apfel- Birn- und Quittenbäume und verwandte Wildsträucher bedeuten würde, sind glücklicherweise nicht eingetroffen. Der Feuerbrand hat zwar heute schweizweite Verbreitung, doch sind erstaunlicherweise schlimme Infektionsjahre wie zu Beginn ausgeblieben. Die Massnahmen, die im Erwerbsobstbau zur Infektionsverhinderung getroffen werden, mögen dazu beigetragen haben. Aber auch imextensiv gepflegten Streuobstbereich und bei Wildsträuchern hat sich die Lage beruhigt. Es scheint ein Phänomen zu sein, dass die Krankheit nach der ersten Welle an Agressivität verliert.
Weiterhin ist es aber sinnvoll, dem Feuerbrand Beachtung zu schenken, befallene Triebe zu entfernen respektive bei schwerem Befall den Baum zu roden.
Zur Phänomenologie der Befalls
Das Feuerbrand-Bakterium Erwinia amylovora fand 1957 den Weg über den Atlantik nach England und verbreitet sich seither in Europa. Befallen werden etwa 40 Gattungen aus der Familie der Rosengewächse. In seinem natürlichen Umfeld in Nordamerika stellt der Feuerbrand für die dort heimischen Wildpflanzen keine bedrohliche Krankheit dar, wohl aber für aus andern Weltgegenden eingeführte Pflanzen. So sind Apfel- und Birnenkulturen in den USA davon betroffen. In Europa hingegen werden auch Wildpflanzen wie Weissdorn, Feuerdorn und wilde Kernobstarten so stark befallen, dass sie in kurzer Zeit absterben. Das Bakterium dringt meist über die Blüte in die Pflanze ein. Es vermehrt sich und breitet sich über den Saftstrom in der ganzen Pflanze aus. In der Folge sterben immer weitere Partien ab.
Vergleichen wir diesen Krankheitsverlauf mit demjenigen ähnlicher, bei uns heimischer Bakterien- oder Pilzkrankheiten, so stellen wir einen wesentlichen Unterschied fest. Bei Infektionen mit letzteren Krankheiten reagieren befallene Pflanzen zum Beispiel durch das Ausbilden von Trenngeweben. In der Folge sterben die isolierten, befallenen Partien zwar ab, aber die restliche Pflanze bleibt gesund. Diese Reaktion bleibt beim Befall mit Feuerbrand aus. Es sieht so aus, wie wenn die hiesigen Pflanzen keine ?Wahrnehmung? für die ihnen fremden Bakterien hätten und deshalb auch nicht darauf reagieren könnten.
Es gibt unzählige Beispiele wie Pflanzen oder Tiere, die vom Menschen in fremde Lebensräume gebracht wurden, die natürliche Harmonie der neuen Heimat aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Dies gilt auch in Bezug auf Mikroorganismen. So erweisen sich zum Beispiel Infektionskrankheiten an einem neuen Ort oft als viel gravierender.
Seit nunmehr 50 Jahren finden die Feuerbrandbakterien durch Insekten, Vögel aber auch durch Wind in immer weiteren Regionen von Europa Ausbreitung. Ohne Eingreifen des Menschen durch Roden der befallenen Pflanzen und damit Ausschalten von Infektionsherden könnte die Verbreitung sehr viel schneller gehen. Anfällige Pflanzenarten würden wahrscheinlich zunächst fast verschwinden, nur einige (zufällig?) robuste Pflanzen würden bestehen bleiben. Mit der Zeit würde sich wieder ein Gleichgewicht zwischen dem Feuerbrand und seinen Wirtspflanzen einstellen. In welchem Zeitraum sich dies abspielen würde, ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls würde es sehr lange dauern.
Wie kann der Mensch helfend eingreifen?
1. Infektionsdruck tief halten. Dies bedingt lückenlose Kontrollen und fachmännische Hygienemassnahmen. Alle anfälligen Bäume und Sträucher, ob in Streuobstwiesen, Privatgärten, Autobahnhecken oder an Waldrändern müssen regelmässig kontrolliert und befallene Triebe entfernt, respektive in schlimmen Fällen die ganzen Pflanzen gerodet und verbrannt werden.
Diese Massnahmen sind vom Bund zu Koordinieren und von den Kantonen mit den Gemeinden zu organisieren. Für die praktische Durchführung sind entsprechende Kontrolleure auszubilden. Die kantonalen Fachstellen für Obstbau verfügen über das nötige Knowhow.
Ausserdem ist jeder Obstbaumbesitzer und jeder Landeigentümer gesetzlich zu verpflichten, anfällige Pflanzen gemäss Weisungen zu kontrollieren und das Resultat zu rapportieren.
2. Pflanzenschutzmassnahmen. Bei besonders hohen Infektionsrisiken (z.B. infolge warmen Frühlingswetters) können im Obstbau Pflanzenschutzmassnahmen sinnvoll sein. Dabei kommen vor allem Mittel in Betracht wie Myco-Sin (Tonerdepräparat), Biopro und Serenade WPO. Auch der Einsatz von Löschkalk soll offenbar Erfolg versprechend sein, muss aber noch weiter geprüft werden. Der grossflächige Einsatz von Streptomycin ist abzulehnen.
3. Robuste Sorten / Resistenzzüchtung. Die Anfälligkeit der verschiedenen Apfel- und Birnensorten ist unterschiedlich. Neben hochanfälligen Sorten finden sich auch solche mit hoher Robustheit. Bei Neupflanzungen ist diesem Punkt besondere Beachtung zu schenken.
Ob die Züchtung auf dauerhafte und vollständige Resistenz möglich ist, kann noch nicht schlüssig beantwortet werden. Hingegen ist Züchtung von Sorten mit hoher Robustheit zunehmend wichtig. Dass dies zu Erfolgen führt, zeigen mehrere ?RE-Sorten? aus älteren Programmen der Züchtungsanstalt Dresden Pillnitz wie auch amerikanische Sorten (z. B. Liberty). Es sei nebenbei angemerkt, dass diese Züchtungserfolge ohne Gentechnik erreicht wurden.
4. Induzierte Resistenz. Ein Forschungsgebiet öffnet sich auch im Bereich der induzierten Resistenz. Es wäre zu prüfen, ob es pflegerische Massnahmen z. B. natürliche Spritzmittel gibt, die bewirken, dass sich die natürlichen Blütenhefen so vermehren, dass diese einen ausreichenden Schutz vor Infektion mit den Bakterien bewirken. Auch andere Möglichkeiten eine Resistenz zu induzieren wären denkbar. Hier liegt ein grosser Forschungsbedarf.
5. Vitalität des Baumes. Es gibt Hinweise, dass die Anfälligkeit resp. Robustheit der gleichen Sorte unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Da bei Beobachtungen in der freien Natur weder Infektionsdruck noch Infektionsbedingungen exakt bekannt sind, könnte der unterschiedliche Befall auf der zufälligen Varianz dieser Grössen beruhen. Es ist aber auch denkbar, dass die Vitalität des Baumes eine Rolle spielt. Dass dabei die Saftzusammensetzung und damit zum Beispiel die Düngung eine wesentliche Rolle spielen könnte, ist nicht ausgeschlossen. Im Zusammenhang mit anderen Kulturpflanzen konnte immer wieder beobachtet werden, dass der Einsatz von gutem Kompost und die dadurch erreichte Belebung des Bodens die Abwehrkraft der Pflanzen gegen Pilzbefall stärkt. Es wären auch in dem Bereich Versuche denkbar.